Antrag: Mehr Wohnungsbau, aber ohne soziale Brennpunkte zu schaffen

Regionaler Wohnungsbaugipfel und Gesamtkonzept für die Verteilung zuwandernder Menschen notwendig

Die aktuelle Bevölkerungsentwicklung und Zuwanderung in die Region Stuttgart erhöht den Bedarf an preiswertem Wohnraum. Sie erhöht aus Sicht der FDP-Regionalfraktion gleichzeitig die Gefahr, dass unter dem Druck der Situation Bauformen gewählt werden, die den Keim zu sozialen Brennpunkten in sich tragen. Die französischen Banlieues und die dort immer wieder ausbrechenden Unruhen müssen für die Region ein warnendes Beispiel sein. Sie hat deshalb beantragt, so rasch wie möglich einen regionalen Wohnbaugipfel einzuberufen und mit allen Akteuren die optimalen Lösungen zu erörtern. Zeigen wir ganz Deutschland, dass die Region Stuttgart vorne dran ist, wenn es gilt, aus der Flüchtlingskrise eine Chance zu machen und das Thema „preiswerten, aber lebenswerten Wohnraum schaffen“, menschenübergreifend zu lösen.“ Außerdem möchte die Fraktion den Handel mit Flächenzertifikaten als regionales Steuerungsmittel erproben.

Das Umfeld, in dem sich die Entscheidungen der Region bewegen, sieht die Fraktion so: Für den Verband bedeutet die aktuelle Situation, dass die früheren Prognosen, insbesondere die PESTEL-Studie, die eine Stagnation der Bevölkerung vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2025 bei 2.620.435 Einwohnern voraussagte, erledigt sind. Die Flüchtlingsströme stellen dies alten Prognosen von einer Bevölkerungsstagnation wie sie noch 2012 regionale Politik bestimmten, auf den Kopf. Den ersten Anstoß hat die FDP zusammen mit den Freien Wählern schon in der letzten Haushaltsdebatte gegeben. Dort hat sie vor zwölf Monaten die Frage gestellt, ob die regionale Vorgehensweise bei der Wohnungsbauplanung im Interesse der Menschen ist. Armin Serwani: „Die meisten Menschen haben einen Traum, zumindest wenn es sich um Familienmenschen handelt. Der Traum heißt, eigenes Häuschen und die Kinder möglichst in Freilandhaltung aufziehen, nicht in Wohnkäfigen.“ Jetzt, nur ein Jahr später, stehen wir in der Region vor einer ganz neuen Herausforderung, wir brauchen nicht nur Wohnraum für die Familien, die rund 700.000 Menschen zwischen 20 und 40 gerade gründen, gegründet haben oder gründen wollen. Wir brauchen auch Wohnungen für Flüchtlingsfamilien, die in die Region zu ziehen.

„Kinder brauchen da etwas mehr Freilaufmöglichkeiten, klar – aber bieten wir die? Bieten wir in unserer Regionalplanung genügend Möglichkeiten für die Ausweisung von familiengerechten Baugebieten?“ – diese Fragen hat die FDP-Regionalfraktion schon vor einem Jahr gestellt. Sie sind brennender denn je. Keiner sollte sich von Schlagzeilen über Singlehaushalte blenden lassen. Die Region Stuttgart ist eine Familienregion: Allein die Zahl der Haushalte mit 3 und mehr Personen lag zu Jahresanfang bei rund 387.000 und bei weiteren 394.000 Haushalten mit zwei Personen, kann die Zahl der Familienhaushalte binnen weniger Monate steigen. Zu dieser Voraussage gehören wenig hellseherische Fähigkeiten bei über 12.000 Eheschließungen und knapp 25.000 Neugeborenen, die das Statistische Landesamt für 2014 registriert hat. Und da sind die Flüchtlingsfamilien und Einzelflüchtlinge nach gar nicht berücksichtigt.

Dass die Region eine Zuwanderungsregion ist, haben wir schon immer gesagt. Jetzt kommt keiner mehr dran vorbei. Was jetzt nicht passieren darf, ist, dass die Konsequenz Bebauungsformen sind, die den Sprengstoff sozialer Auseinandersetzungen in sich tragen. Die französischen Banlieues und die dort immer wieder ausbrechenden Unruhen müssen für die Region ein warnendes Beispiel sein. Die Herausforderung besteht darin, eine Lösung zu finden, die dem ländlichen Raum in der Region eine neue Entwicklungschance eröffnet und die Wohnqualität in Stuttgart auch bei preiswertem Wohnraum sichert.

Die Bevölkerungsentwicklung aber auch die verkehrliche Situation in der Region bringt gleichzeitig die Herausforderung mit sich einen Ausgleich zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und den umliegenden Kommunen zu suchen. Stuttgart baut und nimmt erhöhte Belastung in Kauf, „… der sich im Bau befindende Skylinetower der Firma Bülow mit 146 Wohnungen, das Projekt Wohnen im Theaterviertel mit rund 725 Bewohnern, die Erweiterung des Theaterhauses mit etwa 1350 zusätzlichen Besuchern sowie die Bauprojekte Maybach-/Rolandstraße mit 200 und Rote Wand mit 103 Bewohnern“, so ein Bericht der Stuttgarter Nachrichten vom 23.07.2015 bringen laut Stephan Oehler vom Amt für Stadtplanung und -erneuerung sowie Frank P. Schäfer vom Büro BS Ingenieure ein zusätzliches Verkehrsaufkommen von 4900 Fahrzeugen täglich. „Wir haben im Gebiet aber schon heute sehr ordentliche Verkehrsmengen“, so Schäfer. Jeden Tag seien etwa 35 000 Fahrzeuge auf der Siemensstraße unterwegs. Auf der Maybachstraße seien es rund 18000, auf der Stresemannstraße zirka 14 000.“ Parallel dazu propagiert OB Kuhn die Verringerung des Stuttgarter Verkehrs um 20 Prozent.

In der Vergangenheit galt in der Region das Prinzip, dass sich Familien mit Kindern vorzugsweise in den Bereichen außerhalb der Landeshauptstadt ansiedelten. Die Region hat inzwischen die Beschränkung auf Entwicklungsachsen und Mindesteinwohnerzahlen pro Hektar eingeführt, was auch dort zu verdichteten Bebauungsformen führte. Wenn unser Ziel ist, keine Banlieus zu schaffen, sondern integrationsfördernden Wohnungsbau umzusetzen, dann müssen wir entgegen dem bisherigen regionalen Vorgehen die Neubürger in die Fläche bringen und Flüchtlinge müssen Wohnraum in normalen Wohngebieten finden. Das heißt, es müssen Wege gefunden werden die Flächenreserven zu aktivieren. Da außerdem nicht sein kann, dass der ländliche Raum ausblutet, weil zu wenig Wohnungen angeboten werden, und in der Stadt zu stark verdichtet wird, ist das Modell eines Handels mit Flächenzertifikaten zu erproben. Modellprojekte mit dieser Form des Ausgleichs entwickeln sich nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung positiv. Allerdings steht die Erprobung immer noch speziell unter der Maßgabe, den Flächenverbauch für menschliche Nutzzung zu verringen: „Die Bundesregierung will den täglichen Flächenverbrauch auf 30 Hektar begrenzen. In einem Modellversuch testen derzeit Kommunen, ob der Handel mit Flächenzertifikaten zum Erreichen dieses Ziels beiträgt“ (FAZ 2.10.2015). Die aktuelle Lage lässt es aber denkbar erscheinen, dass Flächenzertifikate die Lösung sein können, wenn es darum geht, in der Region Stuttgart einen Ausgleich zwischen den dichtbesiedelten Räumen und den weniger verdichteten Bereichen zu finden.

Der Antrag im Wortlaut:

Die Regionalversammlung beschließt mit Wirksamkeit für den Haushalt 2016

  1. der Verband Region Stuttgart berichtet über den aktuellen Stand der Wohnbauentwicklung in der Region Stuttgart, über die Wohnungsnachfrage insgesamt und über die zu erwartenden Auswirkungen durch den Zustrom von Flüchtlingen. Insbesondere berichtet er dabei über den derzeitigen Stand der Erschließung und Nutzung der in der Regionalplanung vorgesehenen Baugebiete und ob diese mit der vorhandenen beziehungsweise zu erwartenden Nachfrage Schritt halten.
  2. der Verband Region Stuttgart berichtet, ob die unter Punkt 1 genannten Fragen Änderungen in seiner Wohnbau- und Entwicklungsstrategie mit sich bringen, wie aus seiner Sicht die Menschen in der Region wohnen wollen und wie er diese Bedürfnisse zusammen mit den Kommunen erfüllen will.
  3. der Verband Region Stuttgart organisiert einen regionalen Wohnbaugipfel zum Thema „Preiswerter Wohnraum mit Lebensqualität“ für die Akteure in der Region. Zu diesem Gipfel sind insbesondere die kommunalen Wohnbaugesellschaften einzuladen.
  4. der Verband Region Stuttgart überprüft im Rahmen des Wohnbaugipfels, ob ein zweijähriges Sonderprogramm für Gemeinden mit Eigenentwicklung zur Aktivierung von Flächenreserven geeignet ist, schnell preiswerten Wohnraum in der Fläche zu schaffen. Er prüft dazu, ob die Nicht-Anrechnung von preiswerten Wohnraumflächen auf den im Regionalplan zugestandenen Flächenbedarf rechtlich möglich ist und ein geeigneter Anreiz für die schnelle Umsetzung wäre.
  5. der Verband Region Stuttgart prüft die Möglichkeiten, die er derzeit für einen Ausgleich zwischen den Kommunen in der Region bei unterschiedlicher Inanspruchnahme von Flächen sieht. Insbesondere überprüft er, ob Flächenzertifikate als regionales Mittel des Flächenmanagements angesichts der wachsenden Herausforderungen geeignet sind, die Flächeninanspruchnahme so zu steuern, dass es vermieden werden kann, dass örtlich Banlieue-Situationen entstehen. Der Verband Region Stuttgart wird beauftragt, Vorgehensweisen zu entwickeln, die die Entstehung sozialer Brennpunkte vermeiden.
  6. für die Überprüfung des Flächenmanagements über Flächenzertifikate erhält er den Auftrag geeignete wissenschaftliche Partner möglichst in der Region zu finden, um eine Simulation des Zertifikatehandels in Form eines Planspiels innerhalb der Region Stuttgart durchzuführen und die Praxistauglichkeit als regionales Steuerelement zu erproben.
  7. der Verband Region Stuttgart stellt im Haushalt 2016 für das Projekt „Wohnungsbaugipfel: Preiswerter Wohnraum mit Lebensqualität“ und das Modellprojekt „Wohnbauflächenmanagement und Flächenzertifikate“ 100.000 Euro bereit.

STN Berichterstattung